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SUEDFranz Graf

SUED

Faces and Places. Namen, Orte, Schriften, Ornamente. Augen, die von den Trägerleisten auf die vorbeieilenden BenutzerInnen der U-Bahn-Station blicken. Gesichter, mit Bleistift und Tusche geschwärzt, Faceblack/Blackface — eine zeitgenössische Minstrel Show unter veränderten kontextuellen Bedingungen. Kreisförmige Embleme, an den Rändern mit dekorativen Figurationen verziert. Geometrien der Lust, zirkuläre Metaphern einer ewigen Wiederkehr. Und dazwischen immer wieder rätselhafte Schriftzeichen, interpunktiert von semantischen Inseln der Bedeutungsproduktion: SOLAR SOUTH oder DIAMOND BODY DREAM MOLECULES FAHREN DRIVING. Hochverdichtete Epigramme, Sinnpartikel, die die Fantasie auf die Reise schicken. Poetische Gegenprogramme zu den lakonischen Appellen der Leitsysteme, die die Menschenströme am Verkehrsknotenpunkt dirigieren. Auslöser einer Sehnsucht nach jenen Orten oder Weltregionen, die ein anderes, besseres Leben verheißen. SOUTH — der Süden als geografische Zone jenseits von Kälte und Beschwerlichkeit. Ein Traumbild nur, ein Schattenriss des Begehrens. Aber eine kraftvolle Markierung auf den flüchtig wahrgenommenen Oberflächen eines urbanen Transitbereichs.

Am Ursprung des Projekts am Südtiroler Platz habe er sich von Sternkarten inspirieren lassen, sagt Franz Graf. Traveling the Spaceways, Verlängerung der Bewegungsvektoren in die Unendlichkeit des Alls. Ein kommunaler Ort als Weltraumbahnhof. Doch in der direkten Konfrontation mit der Station und ihrem geschlossenen System aus funktionalen Signalen und rationaler Kommunikation habe er das Bedürfnis gehabt, der Abstraktion der Leitsysteme die Konkretheit affektiv aufgeladener Bildeindrücke gegenüberzustellen. Hierfür schöpfte Graf aus einem über viele Jahren gewachsenen Archiv, das florale Muster aus botanischen Atlanten genauso enthält wie Fotos von vertrauten Personen, unzählige Variationen der geometrischen Grundform des Kreises sowie viele Schriften und Typografien unterschiedlichster Provenienz. Graf sammelt alles und birgt es in einer Wunderkammer der Absonderlichkeiten und der obsessiv dokumentierten privaten Augenblicke.

Seine Kunst ist auch und vor allem eine Ars combinatoria, in der jedes Element mit anderen in einen Spannungszusammenhang tritt. Auf vier unterschiedlich großen Flächen in der U-Bahn-Station Südtiroler Platz inszeniert/installiert der Künstler ein Bilderkaleidoskop. Einen Film in einzelnen Kadern, die stillstehen und sich oft widersprüchlich zueinander verhalten. […]

Einzelne Bilder tauchen wie eine Erinnerungsspur Out of the Past immer wieder auf und werden in der Wiederholung zu Taktzeichen, die den Rhythmus der visuellen Abfolge gliedern. Franz Graf, der auch ein großer Musikkenner ist, weiß um die Suggestivität von Loop und Remix. Und er schafft ein optisches Äquivalent zur Lo-Fi-Ästhetik in der Popmusik: Kleine Fotos werden auf das Format 30 × 40 cm hochgefahren und dauerhaft ins Werkglas und in das Bewusstsein der PassantInnen gebrannt. Grobkörnige Polaroid-Ästhetik statt High-Definition, Snapshot-Momente, aus dem täglichen Leben gefischt und in zahlreichen Bildbearbeitungsschritten farblich überarbeitet und durch zusätzliche Applikationen in ihrer inneren Balance verändert.

Man spürt das Bedürfnis des Künstlers, dem Thema Bewegung eine künstlerische Gestalt zu verleihen, die die öffentliche Situation mit Momenten des Privaten tätowiert, ohne eine Tyrannei der Intimität zu entfalten. Wenn Porträts aus dem unmittelbaren Umfeld Franz Grafs auftauchen, dann sind sie so stark verändert, beschnitten, gebleicht oder geschwärzt, dass sie universellen Chiffren ähneln. So wird die U-Bahn-Station als Schnittstelle unpersönlicher Begegnungen mit dem Duft der menschlichen Nähe behaucht und gleichzeitig durch eine künstlerische Entpersönlichung des Individuellen eine neue Distanz hergestellt. In weiter Ferne so nah, in großer Nähe so fern.

Franz Grafs installativer Reigen am Südtiroler Platz zeigt seine Liebe zum Fragment und zu einer Bricolage-Ästhetik, in der mit großem Feingefühl für die Wertigkeiten der einzelnen Bilder ein Puzzle zusammengesetzt wird, das mehr ergibt als die Summe seiner Einzelteile: eine aus den verborgenen Kammern des Unbewussten geschöpfte Weltsicht, die in traumwandlerischem Halbbewusstsein eine Passage durch unterschiedliche Aggregatzustande des Existenziellen vollzieht.

Manche dieser knappen visuellen Codes krallen sich wie Widerhaken in das Bewusstsein der vorbeieilenden Menschen, trotzen ihnen einen Sekundenbruchteil an Aufmerksamkeit ab. Die Kunst des Moments wird zum Moment der Kunst. „Ich habe keinen fließenden Text, der stets abrufbereit wäre“, sagt Franz Graf. „Ich arbeite mit einzelnen Wörtern, Begriffen, Satzfetzen, optischen Kürzeln. In der Summe wird so auch eine Geschichte erzählt — aber eben anders zusammengesetzt.“

Text: Thomas Mießgang

Ort

Passage Hauptbahnhof / Südtiroler Platz, 1040 Wien

Weiterführende Info

Künstler
Franz Graf
*1954 in Tulln (AT), lebt und arbeitet in Wien
203.3040.at/franzgraf

Dieses Projekt wurde im Rahmen eines künstlerischen Wettbewerbs als Siegerprojekt gekürt. Für mehr Informationen folgen Sie diesem Link:

ZUM WETTBEWERB

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SUEDFranz Graf

Zeitraum

Seit 28. August 2012

S-Bahn, U1 Südtiroler Platz / Hauptbahnhof

Keramischer Digitaldruck auf Glas,
insgesamt 65 Paneele
4-teilig: 1 x 12 m (2 mal),
4 x 14 m, 3,85 x 17 m

Vermittlung - Veranstaltungen

Vermittlung - Gedrucktes

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Wiener Linien: Kunst in der U-Bahn

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