Das 2014 von Catrin Bolt initiierte und umgesetzte Projekt Alltagsskulpturen Mahnmal zieht sich an 10 Orten mit einer Gesamtlänge von circa 1.200 Metern über mehrere Bezirke der Stadt Wien. Es wurde im Mai und Oktober 2017 um sechs Standorte im 2., 5., 9. und 20. Bezirk mit einer Gesamtlänge von circa 800 Metern erweitert.
Das Alltagsskulpturen Mahnmal basiert auf persönlichen Beschreibungen von Vorfällen im Stadtraum Wien in der Zeit des Nationalsozialismus, die mit Straßenmarkierstoff an verschiedenen Orten aufgetragen wurden, so dass man sie im Gehen lesen kann. Sie verlaufen genau dort, wo sich die beschriebenen Ereignisse zugetragen hatten.
Der Stadtraum, der vorrangig im „Jetzt“ und in praktischer Hinsicht wahrgenommen wird, wird erweitert und kann in einer historischen Dimension und unter dem Gesichtspunkt der dort stattgefundenen Handlungen wahrgenommen werden.
Viele Misshandlungen erfolgten im öffentlichen Raum, lautstark und sichtbar; ähnlich sichtbar sollten auch die Textlinien sein. Der Stadtraum wurde als politische Bühne verwendet und trug so einen Teil der Geschichte in sich. Die Berichte verdeutlichten den Aspekt der öffentlichen Sichtbarkeit und stellten die Ereignisse aus der Perspektive der Opfer dar. Die Texte wurden mit schwarzer Markierfarbe entlang von Gehwegen aufgetragen. Schwarze Farbe dieser Art wird häufig dazu verwendet, vorgenommene Markierungen zu überstreichen und so ungültig zu machen. In diesem Fall wurde damit jedoch das unsichtbar Gewordene wieder sichtbar gemacht.
Da die Schriftzüge aus Straßenmarkierstoff gestaltet sind und das Mahnmal direkt auf die Bodenflächen des Außenraums aufgetragen ist, gibt es Parallelen zu Straßenmarkierungen an und für sich. Diese verändern sich mit dem Stadtraum mit und passen sich den Gegebenheiten und den Bedürfnissen der BewohnerInnen an. Sie können erneuert werden, manche verfallen oder bröckeln ab, immer wieder kommen auch neue Markierungen hinzu. Das Mahnmal kann ebenfalls als wachsende und sich anpassende Stadtstruktur gesehen werden. An manchen Orten bleibt es gut erhalten, woanders verändert es sich durch Witterung, Baustellen, Untergrundbeschaffenheit und Abnutzung, und an wieder anderen Orten kommen neue Texte hinzu. Als Teil der Stadt gestaltet es sich so mit dem veränderlichen und lebendigen Außenraum mit. Das Projekt wird als nicht abgeschlossen (und nicht abschließbar) in seiner Unvollständigkeit betont, die Vorfälle auf die referiert wird sind nicht überschaubar und auch nicht vollständig erzählbar.
Einer der gewählten Texte ist ein Abschnitt aus den Erinnerungen der Schriftstellerin Gitta Deutsch:
Vor allem hab ich meine erste große Liebe in dieser Zeit erlebt. Wir haben zusammen Gedichte gelesen, sind spazieren gegangen und haben uns im Stadtpark getroffen, wo wir uns nicht niedersetzen durften, weil auf den Bänken „Nur für Arier“ stand. Eines Tages ist er nicht zu einem Rendezvous nach der Schule gekommen, und da hat sich herausgestellt, daß die Nazis, irgendwelche SA-Sadisten, ihn mit einem Plakat „Kauft nicht von Juden“ über die Franzensbrücke hin und her gehen ließen, einen ganzen Nachmittag lang. Er war ein besonders sensibler, feiner Bursch, und das hat ihn wahnsinnig zermürbt.
2. und 3. Bezirk, Franzensbrücke
Gitta Deutsch, in: Erzählte Geschichte: Berichte von Widerstandskämpfern und Verfolgten, Bd. 3: Jüdische Schicksale, hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, 2. Auflage, Wien 1993, S. 325
Gitta Deutsch wurde 1924 in Wien geboren und erlebte den „Anschluss“ und die erste Zeit der Judenverfolgung als Schülerin. 1938 gelangte sie mithilfe von Quäkern nach England, wo sie sich rasch eingewöhnen konnte. Ihr Vater konnte nachkommen, sie wurden aber beide als feindliche Ausländer auf der Isle of Man interniert. Gitta Deutsch blieb bis in die Sechzigerjahre in England und gründete dort eine Familie. Die Lyrikerin und Übersetzerin kam 1969 nach Wien zurück, wo sie bei den Vereinten Nationen arbeitete. Sie verstarb 1998 in Wien.
Ort
Hermann-Gmeiner-Park, 1010 Wien
Staatsoper, 1010 Wien
Große Pfarrgasse, 1020 Wien
Kleine Sperlgasse, 1020 Wien
Im Werd, 1020 Wien
Praterallee, 1020 Wien
Schiffamtsgasse, 1020 Wien
Franzensbrücke, 1020 und 1030 Wien
Brigittenauer Lände, 1200 Wien
Westbahnhof, 1150 Wien
Galerie
Weiterführende Info
Künstlerin
Catrin Bolt
*1979 Friesach (AT), lebt und arbeitet in Wien.
Partner und Förderer
Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, Kulturforum Brigittenau, Rembrandtin
Für mehr Informationen zur Erweiterung des Projekts in 2017 folgen Sie diesem Link:
ZUR ERWEITERUNG
Zeitraum
seit 23. September 2014
In Kooperation mit dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, dem Kulturforum Brigittenau und Rembrandtin.