Für den großzügigen Durchgang von der Maria-Lassnig-Straße zum grünen, belebten Wohnhof – offen zum Helmut-Zilk Park – wurde eine künstlerische Gestaltung gesucht: eine adressbildende, identitätsstiftende Intervention, die für alle eine ansprechende Atmosphäre schafft und die Wahrnehmung und Aufenthaltsqualität des Durchgangsraumes verbessert. KÖR Kunst im öffentlichen Raum Wien und EBG Gemeinnützige Ein- und Mehrfamilienhaus Baugenossenschaft reg. Gen.m.b.H haben in Kooperation das Ziel verfolgt, die Vergabe und Implementierung eines permanenten Kunstprojektes im Bereich des Durchgangs der Wohnhausanlage „Schöne Aussichten“ gemeinsam zu realisieren und dafür einen geladenen, künstlerischen Wettbewerb durchgeführt.
Die sechsköpfige Jury hat sich am 18. Oktober 2021 für den Entwurf des Künstlers Moussa Kone entschieden.
Siegerentwurf: Moussa Kone - The Great Vibration
„Die Gestaltung des öffentlich zugänglichen Durchgangs der Wohnhausanlage „Schöne Aussichten“ im Sonnwendviertel verbindet auf gelungene Weise die räumliche Situation mit den historischen Schichtungen des Orts wie mit dem gemeinsamen Leben in diesem neuen Wohnbau, in einem neuen Viertel der Stadt. Die Gestaltung von Moussa Kone thematisiert den unter dem Durchgang fließenden Abwasserkanal, dessen Entstehungsgeschichte auf die noch im 19. Jahrhundert in Wien grassierende Cholera-Epidemie zurückgeht. So verknüpft sich die Erinnerung daran mit dem künftigen Zurückschauen auf die aktuelle Pandemie. Zugleich ruft die Arbeit die immer gegenwärtige Bedeutung städtischer Infrastrukturen ins Bewusstsein, die nicht selten verborgen bleiben und doch so zuverlässig einen reibungslosen Alltag ermöglichen. Moussa Kones Arbeit, die den Titel The Great Vibration trägt, bleibt leicht und fast verspielt und wird dabei zu einem identitätsstiftenden Element der Wohnhausanlage, das für die Bewohner*innen, die Nachbar*innen sowie Besucher*innen und Betrachter*innen eine einladende Orientierung bietet und zugleich auf eine spannende und wichtige Geschichte hinweist.“
-- Statement der Jury
Der Durchgang durch das Wohngebäude „Schöne Aussichten“ im Sonnwendviertel verbirgt seine praktische Funktion im Untergrund. Laut Widmungsplan darf diese Fläche nicht bebaut werden. Die Leerstelle markiert damit den Verlauf des neuzeitlichen Wiener Kanalsystems, das anlässlich der Cholera-Pandemie ab 1831 entstand. An diesem Ort herrscht eine Parallelität zwischen historischen und aktuellen Ereignissen. Der Künstler Moussa Kone holt diese Fakten an die Oberfläche und zeigt, wie sich hygienische Anforderungen städtebaulich auf das urbane Zusammenleben auswirken.
Von Asien ausgehend erreichte eine todbringende Cholera-Welle im 19. Jahrhundert die europäischen Städte. Als Reaktion darauf wurden Grenzen abgeriegelt, Quarantäne-Stationen sowie Lazarette eingerichtet und Seuchenbeauftragte zur Überwachung eingesetzt. Arbeitslosigkeit, Proteste und soziale Ausgrenzung gehörten zu den Folgen. Katastrophale hygienische Verhältnisse ließen die Ursache der Krankheit in Miasmen, Ausdünstungen des Bodens, vermuten. So wurde die „Assanierung“ Wiens und der Kanalausbau gestartet. 1873, im Jahr des letzten großen Cholera-Ausbruchs in Wien, begann der Bau des großen Favoritner Sammelkanals, der unterirdisch das Wohngebäude kreuzt und bis heute in Betrieb ist.
Der Titel der Wandmalerei The Great Vibration bezieht sich auf die Bewegung von Vibrionen, wie die Klasse der Cholerabakterien genannt wird. An einer Wand operieren zwei Figuren an hygienischen Tätigkeiten und entsorgen den Inhalt eines Kübels nach oben. Durch einen Kanal zwischen Betonträgern an der Decke fließt ein wellenförmiges Muster aus Einzellern in Richtung der gegenüberliegenden Wand. Dort löst es sich schillernd und luftig auf, bevor einzelne Vibrionen im vorhandenen Lüftungsgitter wie in einem Abfluss verschwinden. Eine Straßenmarkierung, basierend auf dem Querschnitt des historischen Kanalgewölbes, lenkt den Blick aktiv nach unten. Am Architravfries in Richtung Parkanlage findet sich ein gemaltes Ziegelmuster. Die angedeuteten Ausbesserungen durch Mörtel und Kalkablagerungen dokumentierte der Künstler auf seiner Recherche im Favoritner Sammelkanal.
Das Kunstwerk gibt dem Ort eine sichtbare Identität. Moussa Kone ruft uns die öffentlichen Strukturen der urbanen Umwelt ins Gedächtnis, mit denen der private Raum direkt in Verbindung steht. Der Rückgriff auf die Geschichte dient dazu, sich gegenwärtiger Standpunkte zu vergewissern und einen Ausblick auf die Zukunft unseres Zusammenlebens zu schaffen.
Weiterer Wettbewerbsbeitrag:
Christoph Knecht - o.T.
Das Projekt möchte synergetisch zwischen den Einwohner*innen, den Jugendlichen aus dem WUK work.space vor Ort sowie der künstlerischen Praxis Christoph Knechts vermitteln: Fliesenmalerei trifft auf zum Teil heimische Flora und verweist so künstlerisch auf eine heterogene Wohngemeinschaft, die sich im Wohnhof, auf der Projektfläche und in einem vorformuliertem Sozialisationskonzept wiederspiegelt. Sie will als Diskursfeld verstanden werden und einen dialogischen Austausch anzuregen.
Das Kachelbild zeigt ein Konglomerat naturalistischer Pflanzendarstellungen, welche auf Wilhelm Thomés und auf dessen im 19. Jahrhundert während seiner Reise durch Deutschland, Österreich und die Schweiz angefertigten, botanischen Illustrationen Bezug nehmen.
Ausgangspunkt der bildnerischen Recherche war die Befragung von Bewohner*innen und den Jugendlichen im WUK work.space zu ihren Lieblingspflanzen. Des Weiteren bilden die Bepflanzung der Hochbeete vor Ort sowie die Fauna in unmittelbarer Nähe der Wohnanlage weitere Quellen bezüglich der Pflanzenarten, welche durch eine Auswahl an heimischen Gewächsen ergänzt wird.
Diese Sammlung verschiedenster Pflanzen ist somit eng mit der Örtlichkeit der Bewohner*innen, bzw. den Jugendlichen des WUK work.space verknüpft und bildet die Grundlage für das Bild eines hybriden Pflanzenwesens. Diese malerisch übers All-over interpretierte Pflanzenform entfaltet ihr Blatt und Knospenwerk als komplexes Motiv, das sich rankend und wuchernd über verschiedene Ebenen zwischen Vorder- und Hintergrund ausbreitet und sich kompositorisch ausgewogen und frei von Hierarchien über den ganzen Bildraum erstreckt. Wurzeln sprießen vom unteren Bildrand bis ganz in die obersten Ecken. Pflanzen wechseln spielerisch ihre Gattung und das freie Ranken, Wuchern, Sprießen und Mäandern der Formen bilden ein lebhaftes Wechselspiel.
Ort
Durchgang der Wohnhausanlage „Schöne Aussichten“ (Sonnwendviertel Ost), Maria Lassnig Straße 38-40, 1100 Wien
Galerie
Weiterführende Info
Geladenes diskursives Verfahren: Durchgang der Wohnhausanlage „Schöne Aussichten“ (Sonnwendviertel Ost), 1100 Wien
Kooperation EBG Gemeinnützige Ein- und Mehrfamilienhaus Baugenossenschaft reg. Gen.m.b.H und KÖR Kunst im öffentlichen Raum Wien
AUSLOBERINNEN
EBG Gemeinnützige Ein- und Mehrfamilienhaus Baugenossenschaft reg. Gen.m.b.H
Kunst im öffentlichen Raum GmbH
VERFAHRENSORGANISATION
Kunst im öffentlichen Raum GmbH
VORPRÜFUNG
ASAP HOOG PITRO SAMMER, Jochen Hoog
WETTBEWERBSJURY (ohne Titel)
Jakob Dunkl, KÖR-Jury
Brigitte Felderer, KÖR-Jury
Sonja Huber, KÖR-Jury
Britta Peters, KÖR-Jury
Katharina Smole (i.V. Alexander Gluttig), EBG Gemeinnützige Ein- und Mehrfamilienhäuser Baugenossenschaft reg. Gen.m.b.H
Georg Zey, KÖR-Jury
SACHBEIRAT (ohne Titel)
Jochen Hoog, ASAP-ZT GmbH
Gernot Tscherteu, realitylab GmbH
Irene Lundström, MA 19 Architektur und Stadtgestaltung
Künstlerische Gestaltung des Durchgangs der Wohnhausanlage „Schöne Aussichten“Wettbewerbssieger: Moussa Kone
Zeitraum
Umsetzung Frühjahr/Sommer 2022