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Temporär

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Die Tatsache, dass Grund und Boden jemandem gehören, erscheint uns heute so selbstverständlich, dass uns vielleicht nicht bewusst ist, dass dies nicht immer so war. Es bedurfte im Gegenteil einer enormen intellektuellen Anstrengung der aufkommenden Hochkulturen im Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit, um so etwas wie individuelles „Eigentum“ an einer allgemeinen Lebensgrundlage wie „Boden“ überhaupt zu konzipieren.

Wie die italienische Philosophin Donatella Di Cesare jüngst gezeigt hat, waren die Konsequenzen epochal: Mit der Erfindung von entsprechenden Regeln, wie sie etwa das römische Recht prototypisch hervorgebracht hat, wird nicht nur ein immobiles Gut wie Boden handelbar und damit gleichsam mobil, sondern ihre jeweiligen Eigentümer*innen erst zur Rechtsperson im eigentlichen Sinne. Zugleich markiert dieser Moment auch die Geburtsstunde des Nationalstaats, der die Durchsetzbarkeit dieser neuen Eigentumsrechte garantiert und umgekehrt Anspruch auf das gesamte Territorium innerhalb seiner Grenzen erhebt. Im Gegensatz zu ähnlich vitalen Elementen wie Wasser und Luft ist es den Staaten längst gelungen, sich praktisch die gesamte Erdoberfläche anzueignen und untereinander aufzuteilen, mit dem Ergebnis, dass keine weißen Flecken mehr übrig sind. In ihrer engen Verknüpfung von Boden und Bürgerstatus haben die Rechtsysteme allerdings mit den Staatenlosen und Besitzlosen ihre eigenen Parias geschaffen. Die Gruppe der Migrant*innen gehört zum überwiegenden Teil ebenfalls dazu, denn sie haben in der meist an den Geburtsort gekoppelten Lotterie der Staatsbürgerschaften dann ein schlechtes Los gezogen, wenn dort prekäre Verhältnisse herrschen und sie ihn deshalb verlassen möchten oder müssen.

Auch heute leben noch geschätzt zwischen 50 und 250 Millionen Menschen nomadisch und zwar weitgehend unbemerkt. Ein Charakteristikum dieser Lebensweise besteht nämlich in ihrem „light touch“ gegenüber der Umwelt, also ihrer minimal-invasiven, zeitlich begrenzten Nutzung, die kaum Nebenwirkungen hervorruft oder Spuren hinterlässt.

Heimo Zobernigs Intervention siehe da verfügt über einen ähnlichen „light touch“. Auf einer der meistfrequentierten, umsatzstärksten und von den Immobilienpreisen her teuersten Einkaufsstraßen Österreichs wird lapidar eine 30 Quadratmeter große, rechteckige Fläche des Bodenbelags mit weißer Farbe bemalt und damit im innerstädtischen Monopoly ausnahmsweise ein Feld freigelassen. Das abstrakte, monochrome Bodenbild markiert größtmöglichen Kontrast zum vom Kampf um Aufmerksamkeit geprägten Ambiente und macht als weitgehend barrierefreie, niederschwellige Zone im Gegensatz zur sonstigen urbanen Infrastruktur keinerlei Vorgaben zu ihrer Nutzung.

Die Frage „Wem gehört der öffentliche Raum?“ wurde gerade von „Kunst im öffentlichen Raum Projekten“ schon oft erörtert. siehe da hingegen interessiert sich grundsätzlicher dafür, was „Eigentum“ überhaupt bedeutet, speziell an einer fundamentalen, planetarischen Ressource, die die jeweiligen Eigentümer*innen gar nicht selbst hervorgebracht haben.

Das weiße Rechteck auf der Mariahilfer Straße wird nach exakt zwölf Monaten wieder komplett verschwunden und das Kunstwerk weder in staatliches noch privates Eigentum übergegangen sein. In dieser Zeit mag es Passant*innen aber unter anderem auch als Testfeld dienen, um eine Welt zu imaginieren und auszuprobieren, die weniger von Besitz und Status, sondern mehr von den Ideen der Gastfreundschaft und des Gemeinsinns geprägt ist.

(Christian Muhr)

Ort

Mariahilfer Str. 69, 1060 Wien

Weiterführende Info

Heimo Zobernig *1958 (A), lebt in Wien (A)

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Temporär

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Zeitraum

7. Juni 2023 bis Juni 2024

U3 Neubaugasse

Vermittlung - Veranstaltungen

Presse

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